Der Begriff „Berufsunfähigkeit“ ist im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) definiert. § 172 Abs. 2 VVG regelt verbindlich: „Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.“
Dazu sollte man wissen:
- Der Hinweis auf den „zuletzt ausgeübten Beruf“ macht klar, dass nicht der erlernte Beruf ausschlaggebend ist.
- „Körperverletzung“ schließt zum Beispiel auch Unfälle ein.
- Es genügt, dass der Beruf „teilweise“ nicht mehr ausgeübt werden kann; die meisten Versicherer zahlen bereits ab 50 Prozent Einschränkung eine Rente.
- „Voraussichtlich auf Dauer“ bedeutet nach neuerer Rechtsprechung eine ärztliche Bescheinigung über Berufsunfähigkeit für drei Jahre; in der Praxis begnügen sich aber viele Versicherer bereits mit einem Zeitraum zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.
Spezialfall „abstrakte Verweisung“
§172 Abs. 3 VVG gibt den Anbietern von Berufsunfähigkeitsversicherungen einigen Freiraum bei der Gestaltung ihrer Policen: „Als weitere Voraussetzung einer Leistungspflicht des Versicherers kann vereinbart werden, dass die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.“
In der Praxis bedeutet das: Versicherer dürfen Tarife auch so gestalten, dass der Versicherte auf eine andere Tätigkeit „verwiesen“ werden kann, bevor er als berufsunfähig gilt. Wenn diese andere Tätigkeit nicht genau definiert ist, spricht man von einer „abstrakten Verweisung“. Beispiel: Wer in einem Shop Getränkekisten ausliefert und diese Arbeit aufgrund eines Bandscheibenvorfalls nicht mehr ausüben darf, könnte immer noch im Innendienst Wareneingang und ‑ausgang kontrollieren.
Was sind die häufigsten Ursachen für Berufsunfähigkeit?
Typische Gründe für Berufsunfähigkeit sind nicht – wie oft angenommen – Unfälle: Sie machen nur etwa zwei Prozent aus. Nach einer neueren Untersuchung sind die häufigsten Ursachen
- psychische Erkrankungen (38 Prozent),
- Erkrankungen des Bewegungs- und Skelettapparates (15 Prozent),
- Krebs (14 Prozent) sowie
- Herz- und Kreislauferkrankungen (10 Prozent).
In welchen Berufen kommt Berufsunfähigkeit besonders häufig vor?
Als besonders risikoträchtig gelten körperlich anstrengende Berufe wie zum Beispiel Dachdecker, Krankenpfleger, Schlachter, Tiefbauer und Maurer. Aber auch Künstler werden teilweise in Risikogruppen mit höherem Risiko eingestuft. In akademischen Berufen sind vor allem Lehrer betroffen. Aufgrund des zunehmenden Anteils psychischer Erkrankungen geraten auch Berufsgruppen in den Blick, die lange Zeit als wenig gefährdet galten – beispielsweise Büroberufe.
Beim Antrag auf Berufsunfähigkeitsversicherung müssen Angehörige von Risikoberufen mit Leistungsausschlüssen, höheren Prämien oder sogar einer kompletten Ablehnung rechnen.
Welche Ansprüche haben Betroffene?
Bei Berufsunfähigkeit fällt das regelmäßig erwirtschaftete Einkommen oft auf einen Schlag weg. Das ist vor allem für Alleinverdiener existenzgefährdend, da kein anderes Einkommen zur Verfügung steht.
Nur für Personen bis zum Geburtsjahrgang 1961 sieht das Gesetz eine Rente wegen Berufsunfähigkeit vor. Später Geborene können lediglich eine Erwerbsminderungsrentebeantragen. Diese fällt jedoch deutlich geringer aus und beinhaltet keinen Berufsschutz mehr. Daher raten Verbraucherschützer, zur privaten Vorsorge eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.
Psychische Erkrankungen sind wichtigste Ursache für Berufsunfähigkeit
Der Trend hält nicht nur an, er beschleunigt sich sogar: Psychische Krankheiten sind als Ursache für Berufsunfähigkeit weiter auf dem Vormarsch. Allein von 2008 bis 2012 stieg ihr Anteil von 24 auf 31 Prozent.
Das Analysehaus Morgen & Morgen stellte kürzlich wieder das jährliche „Rating Berufsunfähigkeit“ vor. Das Ergebnis war fast vorherzusehen: Nerven- und psychische Krankheiten sind mittlerweile Hauptursache für beinahe jeden dritten Fall von Berufsunfähigkeit. Auf dem zweiten Platz folgen Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparates (21 Prozent). Krebs und ähnliche Geschwülste belegen mit 15 Prozent den dritten Rang. Andere Ursachen sind noch seltener: So spielen Unfälle in weniger als zehn Prozent der Fälle eine Rolle.
Neue BU-Ursachen belasten auch gesetzliche Rentenversicherung
Nicht nur für private Berufsunfähigkeitsversicherer werden psychische Erkrankungen immer mehr zum Schreckgespenst. Die gesetzliche Rentenversicherung ist von der rasanten Entwicklung noch stärker betroffen: Sie muss immer mehr Menschen eine Erwerbsunfähigkeitsrente zahlen, die aufgrund psychischer Ursachen nicht mehr zurechtkommen.
Andere Faktoren geraten fast schon zu Ausnahmeerscheinungen. Das zeigen Untersuchungen zu den Ursachen für Erwerbsunfähigkeitsrente:
- Psychische Störungen: 41 Prozent,
- Erkrankungen Skelett/ Muskulatur/ Bindegewebe: 14 Prozent,
- Herz-/ Kreislauferkrankungen: 13 Prozent,
- Stoffwechsel/ Verdauung: 4 Prozent und
- sonstige Erkrankungen: 18 Prozent.
Andere Zahlen sind noch alarmierender. Frühverrentungen wegen Depressionen verdoppelten sich von 2001 bis 2012 glattweg. Ursachen in Form von Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen nahmen um rund 75 Prozent zu, Suchterkrankungen um 50 Prozent.
Absicherung gegen Berufsunfähigkeit wichtig für Arbeiter und Angestellte
Eine gute Vorsorge stellt nach wie vor der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung dar. Sie zahlt, wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen mindestens zu 50 Prozent nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf auszuüben. Früher kümmerten sich vorwiegend Menschen mit körperlich strapaziösen Berufen um einen Versicherungsschutz, beispielsweise Dachdecker, Maurer oder Fliesenleger.
Heute fragen immer mehr Büroangestellte, Verkäufer oder Manager nach einer Police. Denn gegen psychische Erkrankungen ist niemand gefeit. Hinzu kommt: Eine Erwerbsunfähigkeitsrente vom Staat — sofern man sie überhaupt bekommt — fällt meist gering aus. Zusätzlicher privater Schutz in Form einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist deshalb unverzichtbar.
Sinnvoll ist es in jedem Fall, eine unabhängige Beratung in Anspruch zu nehmen. Denn die BU-Police sollte nicht den Provisionsinteressen des Vermittlers, sondern vor allem der Absicherung des Versicherten dienen.